Liberating  Gelsenkirchen

... weil wir GEschichte L(I)EBEN!

Frühe Nachkriegszeit

Die frühen Nachkriegsjahre waren geprägt von Güterknappheit, fehlendem Wohnraum, einem schrecklcihen Fährunglück. Aber auch der Gewissheit, dass es nun wieder bergauf geht. Die Industrie konnte schnell wieder ihre Arbeit aufnehmen und es entstand trotz aller Widrigkeiten schnell ein neuer Alltag in Friedenszeiten.

Das Leben war aber keineswegs unbeschwert: Noch immer fehlten zahlreichen Familien die Information über den Verbleib ihrer Angehörigen, erst nach und nach brachten heimkehrende Kriegsgefangene Nachrichten von Kameraden, erste Briefe kamen aus den Gefangenenlagern in Ost und West, aber auch die Gewissheit, dass viele nicht mehr zurück kehren würden setzte sich fest.

Zeitgleich begann die Phase der Entnazifizierung öffentlicher Ämter und die Grundsteine für den Wiederaufbau und die Wirtschaftswunderjahre wurden gelegt.

Das Jahr "0"

Lohnsteuerkarte 1944/46

Ein sehr anschauliches Relikt ihrer Zeit ist diese Steuerkarte, die das Jahr "0" (1945) komplett ausblendet. Die oftmals vernichteten Unterlagen, zerstörten Betriebe und andere Kriegseinflüsse haben eine Steuerberechnung für das Jahr 1945 schlicht unmöglich gemacht.

Die Eintragungen Steuergruppe 3, verheiratet und 1 Kind werden heute noch verwendet.


Schwerter zu Pflugscharen

Die allgemeine Versorgungsknappheit sorgte durch alle Bevölkerungsschichten hindurch für einen enormen Erfindungsreichtum: Aus den Hinterlassenschaften des Krieges wurden mit wenig Aufwand nützliche Alltagsgegenstände hergestellt.

Auch deutsche Uniformen wurden lange nach dem Krieg weiter getragen und wer in originalen Farbfilmaufnahmen aus der unmittlbaren Nachkriegszeit genau hinschaut, der erkennt viele rote Mädchenkleider hergestellt aus Hakenkreuzfahnen.

Seltener zu finden ist so genannte Notbekleidung aus Uniformen und Ausrüstung der Befreier: US-Soldaten durften Teile ihrer Uniform und Ausrüstung verschenken, jedoch hatte hier die Zivilbevölkerung Ausrüstung aus Stoff schwarz zu färben, damit sie nicht mit Soldaten verwechselt wurden. Das stellte sonst im besten Falle eine Amtsanmaßung dar, im schlimmsten Fall zog es jedoch ein Verfahren wegen Spionage nach sich, welches bis zum Todesurteil ein weites Spektrum an drakonischen Strafen nach sich ziehen konnte.

Oft noch viele Jahrzehnte nach dem Krieg waren diese Gegenstände im täglichen Gebrauch und geben heute noch einen eindrucksvollen Einblick in die Vergangenheit.

Aber auch ein Abverkauf von Wehrmachtseigentum begann unmittelbar nach Kriegsende. Annette Eickers aus Gelsenkirchen erwarb so während ihrer großen Fahrt ins Landschulheim Kramerhof (Garmisch-Partenkirchen) einen Rucksack zum Preis von 8 Reichsmark und einen Brotbeutel zum Preis von 4 Reichsmak aus Beständen der lokalen Heeres-Sanitätsstaffel.

Fährunglück auf dem Rhein-Herne-Kanal

Da in der unmittelbaren Nachkriegszeit das Material für den Wiederaufbau der Kanalbrücken fehlte, gab es zwischen Gelsenkirchen und Buer keine Fußgängerverbindung über den Rhein-Herne-Kanal. 1946 wurde daher eine Behelfs-Fähre zwischen den Stadtteilen Bismarck und Erle eingerichtet. Bestehend aus zwei ehemaligen Pionierpontons (schwimmende Brückenteile) und einer Seilwinde, konnten so bis zu 80 Passagiere über den Rhein-Herne-Kanal gebracht werden.

Am 7. April 1946 kenterte die Fähre jedoch kurz nach dem Ablegen und riss dabei zwei Kinder, fünf Frauen und 14 Männer in den Tod. Die restlichen rund 60 Passagiere überlebten.

Bereits im Mai 1946 war die Fähre nach leichten Umbauten wieder im Betrieb und beförderte bis zur Fertigstellung der neuen Brücke Ende Juni 1948 rund acht Millionen Menschen.

Gedenkstein für die Toten des Fährunglücks

Dieser Gedenkstein wurde im Jahre 2016 zur Erinnerung an die 21 Toten des Fährunglückes aufgestellt. Zu finden ist der Stein direkt unterhalb der heutigen Brücke über den Rhein-Herne-Kanal.

Kriegsgefangene, Heimkehrer, Vermisste & Flüchtlinge

Während die meisten Angehörigen der deutschen Wehrmacht bereits sofort mit Kriegsende oder in den Wochen danach Heimkehren durften, so blieben doch viele Angehörige im Ungewissen. Kommunikation lief über das neutrale Internationale Rote Kreuz und entsprechend langwierig war die Briefkorrespondenz.

Besonders aus den Ostgebieten gab es wenig Informationen, kaum eine deutsche Einheit war auf der Flucht vor der Roten Armee intakt geblieben.

Aber auch die Heimkehrer standen bei ihrer Rückkehr vor großen Problemen: Oftmals über Jahre mit nur kurzen Unterbrechungen weit von daheim entfernt gewesen, standen sie nun in einem Land, dass sie nicht mehr erkannten.

Nachrichten aus der Kriegsgefangenschaft

Solche kurzen und kleinen Postkarten sorgten in den Familien für große Erleichterung: Ein vermisster Angehöriger ist noch am Leben, jedoch in Kriegsgefangenschaft.

Während die Kriegsgefangenen der Westalliierten mit einer recht baldigen Entlassung und einer Behandlung entsprechend der Genfer Konventionen rechnen durften, war die Lage in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern deutlich dramatischer. Meist im eisigen Sibirien, mit zu wenig Nahrung und der Willkür der Bewacher ausgesetzt, kamen die lezten deutschen Kriegsgefangenen erst in den 1950er Jahren zurück in die Heimat.

Die Korrespondenz mit Kriegsgefangenen lief damals über das neutrale Internationale Rote Kreuz.


Deutschsprachiges Neues Testament aus Großbritannien

Auch fernab der Heimat wurden (zumindest durch die Westalliierten) auch deutschsprachige Literatur an die Kriegsgefangenen ausgegeben. Beispielhaft ist dafür dieses Neue Testament, welches in Großbritannien auf deutsch gedruckt wurde.

Schön zu sehen sind die Schwierigkeiten, die die britischen Editoren mit den deutschen Umlauten in der Beschreibung des Herausgebers hatten.


Schmähgedicht über die deutsche Frau

Dieses Gedicht aus der Feder eines mutmaßlichen Heimkehrers, klingt auf dem ersten Blick nach einem sarkastischen Stück. Was aber dahinter steckt ist, wie der Heimkehrer seine Umwelt nach 5 Jahren Krieg nun wahrnimmt. Er verarbeitet darin nicht nur den Schock, nach so langer Zeit wieder nach Hause zu kommen und eine völlig andere Welt vorzufinden, sondern auch die tiefsitzende Ideologie und das Bild, dass er sich in kürzester Zeit selbst machen konnte.

In diesem deutlich der untergegagnenen Ideologie anhaftenden Gedicht wird der Wille der deutschen Frau, für das Überleben ihrer Familie wirklich alles zu tun, in das Gegenteil verkehrt und dazu genutzt die "Heimatfront" in ein schlechtes Licht zu stellen. Eine Ähnlichkeit zur Dolchstoß-Legende des Ersten Weltkrieges ist deutlich zu erkennen.


Evakuierte und Flüchtlinge

Schon unmittelbar zu Kriegsende nahm die Zentral-Auskunftsstelle für Flüchtlinge & Evakuierte ihre Arbeit auf. Jeder Bürger konnte sich dort mit alter und neuer Anschrift registrieren lassen, oder nach Angehörigen forschen, die in den Wirren des Krieges aus den Augen geraten waren.

In diesem Fall war es Hertha Machmüller, die ursprünglich aus Berlin kam, und nun in Gelsenkirchen auf der Schwarzmühlenstr. 96 ihre neue Heimat gefunden hatte.

Entnazifizierung & öffentliche Ordnung

Unmittelbar nach Kriegsende begannen die Alliierten mit der Suche nach Nazi-Funktionären, Kriegsverbrechern aber auch Mitläufern. Dabei wurde genau durchleuchtet, wer in der Nachkriegszeit als zuverlässig genug galt um Ämter der öffentlichen Ordnung zu bekleiden. Oftmals entschied aber der Einfluss einzelner über den Ausgang der jeweiligen Prüfungsverfahren. Viele Funktionäre wechselten so einfach den Dienstherrn und mussten sich (wenn überhaupt) erst Jahre später ihrer Vergangenheit stellen.

Auf der anderen Seite begann auch bereits mit Kriegsende der Handel mit Devotionalien aus dem Nationalsozialismus zu wachsen. Kunden waren häuft die Allierten auf der Jagd nach "Souvenirs".

Entlastungs-Zeugnis

Jede Überprüfung deutscher Bürger wurde dokumentiert und auch entsprechend beurkundet.

Wie in diesem Beispiel von Emil von Dombrowski, der nach den Bestimmungen der Militärregierung nicht als Nazi galt und keine Beeinträchtigung durch seine Vergangenheit zu befürchten hatte.


Einreihungsbescheid

Wer jedoch nicht entlastet wurde, erhielt einen sogenannten Einreihungsbescheid. Diese Bescheide enthielten Vorgaben für die berufliche Laufbahn, oder ob weiterhin angehäuftes Vermögen genutzt werden durfte. In diesen Dokumenten geht es um den Feuerwehrmann Alfred Treichler, der auf Basis von Mitgliedschaft in folgenden Organisationen als Nazi eingestuft wurde:

  • NSDAP (seit 1933)
  • NSV (Nationalsozialistische Wohlfahrt, seit 1933)
  • RDB (Reichsbund der Deutschen Beamten, 1936 bis 1939)
  • RLB (Reichsluftschutzbund, seit 1939)

Folgende Beschäftigungsbeschränkungen wurden auferlegt: "Ist von obigem Amt zu entfernen/auszuschließen wird aber erlaubt, eine Stellung anzunehmen, welche den Rang von Feuerwehrmann nicht übersteigt in der gleichen Berufsgruppe oder einer ähnlichen in öffentlichen order halböffentlichen Ämtern oder in irgendeinem bedeutenden Privatunternehmen."

Was sich hier so kryptisch anhört, bedeutet kurzgefasst: Verlust des Beamtenstatus und keine Erlaubnis über den Rang eines einfachen Feuerwehrmannes hinaus befördert zu werden.

Herr Treichler legte gegen diesen Bescheid Berufung ein und wurde zumindest dem uns Vorliegenden Dokument nach neu "kategorisiert" und erhielt den Vermerk "ohne Sperrung des Vermögens und der Konten". Wir nehmen an, dass auch die beruflichen Beschränkungen aufgehoben wurden.


Gesperrtes Sparbuch

Wie in den Schreiben oben beschrieben, konnten auch Vermögenswerte eingefroren werden. Wie das aussehen kann zeigt dieses Sparbuch von Fräulein Eggemann: 1929 eröffnet, im Jahr 1948 wurde das angehäufte Vermögen von 10.830,20 Reichsmark durch die Militärregierung gesperrt.

Scheinbar hat Fräulein Eggemann in der Folge erfolgreich Widerspruch gegen den Einreihungsbescheid eingelegt und erhielt am 6.8.48 ein neues Sparbuch.

Leider erlitt das Sparbuch einen Wasserschaden und somit sind leider viele der Eintragungen nicht mehr lesbar. Spannend ist jedoch, dass die "dezenten" Stempel bezüglich der Sperrung von so guter Tintenqualität waren und den Wasserschaden unbeschadet überstanden haben.


Beginn des Sammlermarktes für Objekte aus dem Nationalsozialismus

Während der Schwarzmarkt schon lange mit Beutestücken aus dem Besitz von Nationalsozialisten florierte, zeugt diese Postkarte des Briefmarkenhändlers Wilhelm Weller aus Gelsenkirchen davon, dass es nicht lange nach dem Krieg bereits einen legitimen Handel gab: Hier mit Hitler-Briefmarken. Aber auch andere Objekte fanden schnell ihren Weg in die Marktwirtschaft und sind heute begehrte Sammlerstücke.


Ordnung muss sein!

Mit diesem Schreiben wurde dem kaufmännischen Lehrling Werner Bennor die gerichtliche Strafverfügung über 5 Mark (ersatzweise einem Tag Haft) wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung überstellt.

Der Beschuldigte soll mit einem Fahrrad noch eine weitere erwachsene Person transportiert haben. Die Gebühren betragen 2 Mark. Mit insgesamt 7 Mark also eine sehr empfindliche Strafe.

Gelsenkirchener in der frühen Nachkriegszeit

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