Liberating  Gelsenkirchen

... weil wir GEschichte L(I)EBEN!

Wiederaufbau

Als sich die 40er Jahre ihrem Ende zuneigen, herrscht in Gelsenkirchen reges Treiben, der Wiederaufbau ist in vollem Gange, die Einführung der D-Mark beseitigt quasi über Nacht die Versorgungsknappheit in der Stadt, Schulen werden unter Aufsicht der alliierten Behörden neu organisiert und die Gründung der Bundesrepublik beendet das Kapitel "Deutsches Reich".

Allerdings spielen nach wie vor Armut und Spendenbereitschaft eine große Rolle: Viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Ostpreußen suchen ihr Glück in den Bergbaugebieten des Westens.

Währungsreform & deutsche Teilung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Reichsmark weiterhin das offizielle Zahlungsmittel in Deutschland. Daneben bestand jedoch in der alliierten Invasions-Währung (ebenfalls in Reichsmark) ein zweiter Satz im Umlauf befindlicher Scheine. Erst mit Einführung der D-Mark in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland wurde die alte Währung mit den NS-Symbolen endgültig abgeschafft. Gleichzeitig festigte aber die Einführung einer westdeutschen Währung auch die deutsche Teilung.

Die Deutsche Mark

Bis 1948 war weiterhin die Reichsmark die offizielle deutsche Währung. Mit der Währungsreform vom 21. Juni 1948 wurde in Deutschland die Deutsche Mark (DM) in den westalliierten Zonen und Westberlin eingeführt. Zunächst lief diese Währung noch unter der Bezeichnung "Bank deutscher Länder". Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland änderte sich die Beschriftung der Deutschen Mark entsprechend.

Deutlich ist auf diesen frühen Scheinen noch der Einfluss der US-Dollar-Noten im Design erkennbar.


Geteiltes Deuschland

Auf Basis der Besatzungszonen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg zwei deutsche Staaten. Die von den Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich besetzten Gebiete wurden zur Bundesrepublik Deutschland und die sowjetische Besatzungszone zur Deutschen

Demokratischen Republik - mit Ausnahme von Berlin, welches in Sich nach Ost und West geteilt wurde.

Gelsenkirchen lag nun mitten in der britischen Besatzungszone innerhalb der Bundesrepublik Deutschland.

Ausweisdokumente

Personalausweise der britischen Zone

Bis zum 1. Januar 1951 sahen die deutschen Personalausweise aus, wie die beiden hier gezeigten Beispiele. Auf Grund des Status als Besatzungszone oblag es der (hier britischen) Militärregierung Ausweispapiere auszustellen. Nach 1951 gab es dann die ersten Ausweispapiere der Bundresrepublik Deutschland.


Flüchtlingsausweis der frühen Bundesrepublik

Auch noch gut 10 Jahre nach der Flucht aus den ehemaligen östlichen Reichsgebieten, galt die Inhaberin dieses Ausweises noch als Flüchtling. Viele heutige Einwohner Gelsenkirchens haben dieses Schicksal in ihrem Stammbaum: Geflohen aus den sowjetisch besetzten Ostgebieten, kamen Einzelpersonen, aber auch ganze Familien in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach Gelsenkirchen, um hier ein neues Leben mit dem Bergbau als wichtigstem Arbeitgeber zu beginnen.

Schulwesen & alliierte Kontrollorgane

In den Nachkriegsjahren unterstand das Schulwesen ganz besonderer Aufmerksamkeit der Siegermächte: Es sollte unbedingt vermieden werden, dass durch den Unterricht die nationalsozialistische Ideologie weiterhin verbreitet wird. So mussten sich angehende und bestehende Lehrer strengen Prüfverfahren unterziehen.

Aber auch Schriftwerke wie Bibeln wurden vorab von der alliierten Militärbehörde geprüft.

Rundschreiben des Lehrerverbandes

In diesem Rundschreiben vom Juni/Juli 1948 geht es im allgemeinen um alle wichtigen Themen, die die Lehrerschaft in der britischen Zone wissen oder mit ihren Schülern besprechen sollten.

In erster Linie geprägt vom Wiederaufbau des Schulsystems und des frisch gegründeten Allgemeinen Deutschen Lehrer und Lehrerinnenverbandes (ADLLV) drehen sich die Themen rund um die Organisation des Lehrerstandes als Gewerkschaft.

Daneben werden aber auch hochpolitische Themen angesprochen, wie die Reaktion von Schülerinnen und Schülern auf die Vorführung eines Filmes, der die Judenverfolgung zum Thema hatte und die daraus resultierende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Eltern.


Brief eines angehenden Lehrers

Von den Schwierigkeiten angehender Lehrer in der frühen Nachkriegszeit berichtet der folgende Brief aus dem Jahr 1947:

Soeben gut in der russischen Zone angekommen

Gelsenkirchen, 8. April 1947

Meine lieben, herzensguten Eltern!

Am 15. April jährt sich zum 20. Male der Todestag unseres lb. Stader Opas. In herzlicher Dankbarkeit gedenke ich seiner, der mir so glückliche, sonnige Jugendtage geschenkt. Wenn Ihr Blümchen bekommen solltet, so legt auch bitte von mir auf sein Graub ein Sträußchen ein grünes Geswächs zum Zeichen treuen Gedenkens.

Nun haben wir Ostern schon hinter uns. Leider sind hier die Festtage völlig verregnet. Ich mußte ein neues Bewerbungsschreiben für den Oberpräsidenten in Münster mit Lebenslauf abfassen, wieder einen polizeilichen Fragebogen ausfüllen und hatte viele Laufereien wegen meiner beruflichen Angelegenheit. Es dürften noch einige Monate vergehen, bis ich hier an einer Oberschule unterkommen kann, denn erst muß ich von der Regierung in den Dienst übernommen werden.

Morgen früh geht es nach Burg zurückk, woch noch bis Ende April aushalten muß.

Euch Lieben recht innige Grüße von Euren tr. Kindern

Walter und Anneliese


Zeugnisse aus der Nachkriegszeit

Auch in der Nachkriegszeit lässt uns Annette Eickers, durch die hinterlassenen Dokumente, an ihrer schulischen Laufbahn teilhaben.

Bis zu ihrem Abschluss im Jahr 1949 besuchte Annette weiter die Droste-Hülshoff-Schule in Buer und mauserte sich dann doch noch von durchwachsenen Zeugnissen zu einem ordentlichen Abschlusszeugnis (leider ist dieses nur als sehr alte Kopie erhalten).

Besonders ist hier, dass Annette von 1938 bis 1949 durchgehend die Schule besuchte. In den Nachkreigsjahren war es eher üblich, dass Schülerinnen und Schüler schon früh die Schule verließen um durch Arbeit das Auskommen der Familie zu sichern.

Bevor Annette die Schule verließ absolvierte sie im Jahr 1948 einen Kurs in Stenografie mit sehr gutem Ergebnis. Ob dieser Kurs einen Ausblick auf ihre Pläne für das Berufsleben gibt? Wir wissen es nicht genau, aber eine Tätigkeit als Sekretärin stand damals ganz sicher bei vielen jungen Damen ganz weit oben auf der Liste von Wunschberufen.

In den späten 1950er Jahren drückte Annette dann nochmals die Schulbank am städtischen Abendgymnasium Gelsenkirchen. Im letzten erhaltenen Zeugnis von 1958 jedoch mit mäßigem Erfolg: Die Versetzung in die Abschlussklasse war zweifelhaft.


Neues Testament

Dieses Neue Testament erreichte Gelsenkirchen als Teil einer Spende der American Bible Society in New York an das Hilfswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland.

Spannend ist hier der Hinweis darauf, dass diese Bibel durch die Nachrichtenkontrolle der alliierten Militärregierung freigegeben wurde. Dabei handelte es sich um ein normales Prozedere in den Jahren des Wiederaufbaus. Es galt zu verhindern, dass durch unscheinbare Publikationen erneut nationalsozialistisches Gedankengut in der Bevölkerung verbreitet wurde.

Von Spendenaufrufen zum Wirtschaftswunder

Noch bis weit in die Nachkriegsjahre hinein waren viele Deutsche auf die Zuteilung von Lebensmitelmarken angewiesen. Auch C.A.R.E.-Pakete aus den Vereinigten Staaten halfen der deutschen Bevölkerung noch bis weit in die 60er Jahre hinein über die Runden zu kommen.

In Gelsenkirchen gab es aber noch einen viel entscheidenderen Mangel: Wohnraum. Die Bevölkerung lebte noch in die 50er Jahre hinein in Behelfssiedlungen aus Nissenhütten.

Streichhölzer für den Wiederaufbau

Dieses kleine Streichholzbriefchen ist Zeuge der schwierigen Wohnsituation in den Nachkriegsjahren. Während Industriebetriebe bereits kurz nach Kriegsende wieder weitgehend einsatzbereit waren, hausten die dazu gehörigen Mitarbeiter in Kellern oder Notbehausungen wie Nissenhütten.

Es sollte noch bis weit in die 1950er Jahre dauern, bis die Wohnsituation sich allmählich entspannte.

Mit Aktionen wie diesem Streichholzbriefen wurden damals Spenden gesammelt um besonders den sozialen Wohnbau voran zu treiben und den Wiederaufbau der Stadt zu beschleunigen.


Lebensmittelmarken

Noch bis in die 1950er Jahre waren Lebensmittelkarten Teil des täglichen Lebens. In verschiedensten Ausführungen waren sie erhältlich, um so nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Bereiche des täglichen Bedarfs abzudecken. So gab es neben den Kartoffelkarten zum Beispiel auch Benzin- oder Kleiderkarten.


C.A.R.E-Paket

Um der Nahrungsmittelknappheit auf dem europäischen Kontinent entgegen zu treten, wurde im November 1945 aus verschiedenen amerikanischen Wohlfahrtsverbänden die Organisation C.A.R.E. (Cooperative for American Remittances to Europe; dt. Gemeinschaft für amerikanische Hilfslieferungen nach Europa) gegründet. Ziel war es die notleidende Bevölkerung mit dem Nötigsten zum Überleben zu versorgen. Zu Beginn beteiligte sich auch die US Armee mit fast 3 Millionen nicht mehr benötigter Feldrationen.

Die Hilfslieferungen beschränkten sich zunächst auf die westeuropäischen Länder, während in Deutschland noch ein Verbot für Hilfslieferungen bestand. Dieses endete Anfang Dezember 1945.

Die ersten C.A.R.E.-Pakete erreichten die amerikanische Besatzungszone im Juli 1946. Wenig später erreichten auch die ersten Pakete die französischen und britischen Besatzungszonen. Diese Pakete waren meist von Verwandten individuell gepackte Hilfspakete. Ab März 1947 stellte die Organisation die ersten selbstgepackten Sendungen zur Verfügung, die nach einem festen Plan und bestimmten Nährwerten gepackt wurden. Bis 1960 erreichten fast 10 Millionen C.A.R.E.-Pakete westdeutsche Haushalte. Insgesamt wurden 100 Millionen Pakete nach Europa verschickt.

1952 änderte C.A.R.E. seinen Namen von "Cooperative for American Remittance to Europe" zu "Cooperative for American Relief to Everywhere" (dt. Gemeinschaft für amerikanische Hilfslieferungen nach Überall) und ist bis heute eine der größten Hilfsorganisationen der Welt.


Waffenöl aus U.S.A.I.D.-Lieferung

So wie C.A.R.E. die Zivilbevölkerung zum Ziel hatte, gab es noch die Organisation USAID (United States Agency for International Development; dt. Agentur der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung), welche neben der Zivilbevölkerung auch die Unterstützung staatlicher Strukturen im Aufgabenfeld hatte. So wurden auch militärische Güter wie dieses Waffenöl nach Deutschland geliefert.


Hilfe durch das Schweizerische Rote Kreuz

Von dem bedeutenden Engagement für die Bevölkerung Gelsenkirchens in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch das Schweizerische Rote Kreuz zeugt diese Dankeskarte einer Bürgerin.

Gelsenkirchen, 17.3.49

An das Schweizerische Rote Kreuz, Gelsenkirchen.

Im Auftrage meiner Schwiegermutter, die leider nicht mehr in der Lauge ist, selbst zu schreiben, möchte ich Ihnen für die freundliche Spende danken. Die alte Dame hat sich sehr derüber gefreut, zumal es wirklich das erste Mal ist, dass in dieser Weise in all den Nackriegsjahren an sie gedacht worden ist.

Mit freundlichem Gruss

Frau Käthe Feldmann


Wiederaufbau der Christuskirche

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren besonders geprägt vom Wiederaufbau der Stadt. Noch heute ist das Stadtbild deutlich von dieser Zeit geprägt.

Besonders der Wiederaufbau der zerstörten Kirchen war für die jeweiligen Gemeinden ein wichtiger Schritt hin zur Normalität.

Exemplarisch dafür möchten wir hier die Christuskirche in Bismarck erwähnen. Bereits 1940 wurde die Kirche durch einen Bombeneinschlag im Altarraum so sehr beschädigt, dass keine Gottesdienste mehr in der Kirche stattfinden konnten. Im November 1944 wurde die Kirche nochmals von mehreren Bomben getroffen, die zum Einsturz des Daches führten.

Über die Wiedereinweihung wurde im Dezember 1950 zweimal im Gelsenkirchener Stadtanzeiger der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, dem Nachfolger der Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung, berichtet.


Schlagwetterexplosion

Am 20. Mai 1950 wurden 78 Bergleute auf der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen Rotthausen getötet.

Dieses Foto aus einem französischen Zeitungsarchiv zeigt Angehörige der Bergleute der getöteten Bergleute. Die Aufnahme muss relativ kurz nach dem Unglück entstanden sein, da die Beschriftung von 76 getöteten Bergleuten ausgeht, statt der offiziellen Zahl von 78. Gemutmaßt wurde aber bereits schon richtig, dass es sich um eine Schlagwetterexplosion handelte.

Für die Versorgung der verletzen mussten Blutkonserven aus Frankreich beschafft werden. Einen deutschen Blutspendedienst gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dies änderte sich als Folge dieses Unglücks und am 29. Februar 1952 fand der erste Blutspendetermin in NRW statt.


Kurioses aus Gelsenkirchen zur Weihnachszeit

In ihrer Ausgabe vom 26. Dezember 1954 titelt die italienische "La tribuna illustrata":

In einem Haus in Gelsenkirchen (Deutschland) wurde der Weihnachtsbaum vorbereitet, als die erschrockenen Umstehenden von Erstickungserscheinungen mit krampfhaftem Husten befallen wurden, und erst dann konnte das beunruhigende Phänomen erklärt werden: Die Tanne war illegal aus einem öffentlichen Park entnommen worden, wo die Stadtverwaltung, um den Diebstahl der Bäume zu verhindern, alle Bäume mit einem chemischen Mittel besprüht hatte, so dass sie, wenn sie ins Haus gebracht und erwärmt wurden, schädliche Dämpfe abgaben.


Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit

Schon zu Beginn der 1950er Jahre normalisierte sich das Leben und auch das Warenangebot erhielt mit der Währungsreform eine lange nicht mehr gesehene Vielfalt.

Dargestellt haben wir dies anhand einer Auswahl verschiedener Alltagsgegenstände wie Seifen, Cola Herzen, Schuhcreme und französischem Thunfisch aus der Anfangszeit der 1950er Jahre. Während es die meisten Produkte schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab, so waren die Cola Herzen ein echtes Nachkriegsprodukt und wurden erst ab 1949 produziert.

Besonders die Dreiring-Seife ist dabei für die Geschichte der Stadt Gelsenkirchen von Bedeutung: Eines der Werke, in denen die Seife seit 1920 hergestellt wurde, war auf dem Gelände Münsterstr. 2 in Gelsenkirchen Bismarck angesiedelt. Nach der Stillegung und Abriss des Werkes in den 1990er Jahren wurde dort ein Lidl-Markt errichtet.

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