Irma ten Elsen - Feldpost aus Gelsenkirchen
Briefe aus dem Jahr 1942
Gelsenkirchen, den 5. Aug. 1942 Lieber Günter Grimm! Ist es so recht? Ich hätte ja auch Herr anzuschreiben können, aber das fand ich noch förmlicher als meine frühere Anrede. Und es kommt schon darauf an, ob man sich gesehen hat oder nicht? Man vergibt sich ja nichts dabei, wenn man in einem Brief, zumal wenn er noch an einen Soldaten adressiert ist, einen zu Herzen gehenden Ton anschlägt. Wissen Sie, ich mache jeden Spaß mit, ohne die Grenze zu überschreiten und mit mir kann man auch die bewussten Pferde stehlen gehen!! Nun wenn es zwischen uns nun schon zu einem Briefwechsel gekommen ist, so wollen wir es so halten, uns nicht immer über irgendetwas zu entschuldigen und erst höflich anfragen, ob es gestattet ist, denn da es so lange dauert, bis einmal die Antwort auf einen Brief eingetroffen ist und so viel Zeit dann verloren ist. Meinen Sie nicht auch, dass wir es so halten sollen? Ah, nun haben ich mich auch schon vertan. Ich muss ja nun annehmen, dass es Ihnen Recht ist und das Todesurteil wird ja nicht gleich unterschrieben. Somit komme ich ja auch daran vorbei mich bei Ihnen für das Briefpapier zu entschuldigen, denn das ist ja nun bei uns verpönt! Außerdem haben Sie mir ja einmal geschrieben, dass es Ihnen auf den Inhalt ankommt. Nun zu Ihren lb. Zeilen für die ich Ihnen ja noch danken muss! Aber, aber, warum sollte ich denn wohl über Ihr Alter erschreckt sein! Das ist doch gerade erst das richtige aller für einen Manne. Schauen Sie sich doch bitte mal diese jüngeren Herzen an! (Es ist gerade Fliegeralarm. Kurz vor 24 Uhr! Bis gleich!) Nun will ich doch noch erst den Brief beenden, denn sonst komme ich vor morgen - nein heute Abend nicht mehr dazu. 2:15 Uhr ist nun endlich entwarnt worden. Wir hier in Gelsenk. haben ja bisher sehr großes Glück gehabt. Natürlich sind bei uns auch schon Bomben gefallen, auch Todesopfer hatten wir zu beklagen, doch das ist gar kein Vergleich mit Hamburg, Düsseldorf, Köln u.s.w. Hoffentlich bleibt uns das Glück weiterhin hold! Ich war bei Ihrem Alter stehen geblieben. Heute im Kriege kan man das ja nicht so merken doch im Frieden konnte man sich ein Urteil über die Lebensart und Weise hier ein Bild machen. Nun wenn Sie dazu noch schreiben, dass Sie jünger aussehen, so kann mich doch Ihr Alter schon gar nicht stören. Das ist ja das interessante Alter. Sie sind mir eigentlich noch eine ungefähre Beschreibung Ihres Äußeren schuldig! Ich weiß ja noch nicht einmal, ob Sie groß oder klein, schwarz oder blond sind! Wenn ich vorerst mit einem Bildchen noch nicht rechnen kann, so habe ich doch dann eine Vorstellung, wie Sie wohl aussehen. Sie tuen mir den Gefallen, nicht wahr? Na, das kann ich nun wieder nicht behaupten, dass der Berliner im schlechten Ruf stünde. Mir ist es nur bekannt, dass der Berliner die bekannte "große Schnauze" hat, hinter der sich doch das goldene Herz erkennen lässt! Nun das kann ihm auch nur hoch angerechnet werden, denn das ist mir lieber, als diese Duckmäuser und scheinheiligen Menschen. Dazu gehören meines Erachtens noch die Steiermärker. Also, da kann ich ein Lied von Singen. Ich war nämlich im Anfang dieses Jahres in St. Michael, über Linz. Wenn auch nur 8 Tage, doch das hat mir genügt! Also, keine Sorge, der Berliner holen sich schon die Herzen! Vielleicht ließe es sich mal einrichten, dass ich mal nach Berlin komme. Zum Schluss will ich Ihnen noch die drei Fragen beantworten. Sie dürfen ruhig noch mehr fragen, dann nehme ich allerdings das selbe Recht für mich in Anspruch!! Ich bin das einzige Kind, eines sehr um mich besorgten Elternpaares. Nun ich hänge sehr an meiner Mutter. Sie ist mir zugleich Freundin und Schwester. Ihr habe ich natürlich von Ihnen erzählt. Doch das ist nicht so wichtig, denn mir wird nichts in den Weg gelegt, das zu tun, was mir behagt! Nun schnell aufgehört, dass Sie nicht so lange zu warten brauchen. Herzlich grüßt Sie Ihre Irma ten Elsen |
Gelsenkirchen, d. 28.8.1942 Lieber Günter Grimm! Sehr erfreut über Ihren lb. Brief will ich Ihnen schnell schreiben, denn ich habe festgestellt, dass Ihr Schreiben genau 11 Tage unterwegs war! Aber es ist reizend von Ihnen, dass sie das kleine Bildchen beigelegt haben! Darf ich es als mein Eigentum betrachten? 29.8.1942 Nun kann ich erst heute Nachmittag diesen Brief beenden. Ich will mich sehr beeilen, dass Sie nicht so lange warten brauchen! Oh, eine Bergtour wäre auch etwas für mich! Sie hat im Sommer ebenso viel Reize wie im Winter. Ich hatte ja in diesem Jahr in der Steiermark Gelegenheit dazu eine schöne Bergbesteigung im Schnee zu unternehmen, doch leider hatte ich das selbe Pech wie Sie. Nur nachher langte meine Zeit nicht mehr! Na, ich hoffe ja, dass ich das bald einmal nachholen kann. Na, die Personalbeschreibung ist ja recht militärisch. Nur fehlte noch die Rubrik: led. - verh.!! Na, das nur zum Scherz! Aber bei Ihrem Alter wundert es mich eigentlich, dass Sie noch "Einspänner" sind! Doch ich glaube, die Richtige zu finden, muss auch schwer sein. Ich für meine Person habe mich mit dem Thema noch gar nicht eingehend beschäftigt. Ich bin ja noch jung. Wenn ich hier so herumhöre, wie die andern Mädels alle Angst haben, dass sie "keinen mehr mitkriegen", dann muss ich nur mit dem Kopf schütteln! Wenn Sie sich ja auch weiter so aufführen, wie es häufig der Fall ist, dann werden sich bestimmt die Männer, die aus dem Krieg heim kommen, bezwecken solch ein Mädel als Frau zu nehmen. Das müssen sie wissen, sonst würden sie nicht so jammern! Man bekommt ja das Grauen, wenn man hört, dass sich eine deutsche Frau mit einem Kriegsgefangenen eingelassen hat!! Ich habe da kein Verständnis für! Zum Glück gibt es auch noch andere Mädels, doch die kann man sich bald mit der Lupe suchen! Ich kann dann ganz gut verstehen, dass die Männer nichts vom Heiraten wissen wollen! Allerdings hat jeder Mensch Fehler und in der Ehe müssen sich dann die beiden Partner ergänzen! Oh, nun bin ich aber auf ein Thema gekommen! Ich will lieber aufhören, denn wenn ich einmal ein interessantes Thema gefunden habe, so habe ich mich so in Begeisterung geredet, dass ich meist das andre vergesse. Eine ganze Seite habe ich fast von der Ehe geschrieben und dabei sollen es abwechslungsreiche Briefe sein! Na muss ich eben noch ein Blatt zur Hilfe nehmen! Herr Grimm, darf ich jetzt einmal neugierig sein? Was sind eigentlich so die Aufgaben eines Musikkorps? Da schaue ich nicht klar! Wenn Sie allerdings nichts aus "der Schule" plaudern wollen, so werde ich meine Neugier bezähmen! Haben Sie eine Kamera zur Verfügung? Dann möchte ich Ihnen schnell dazu verhelfen, ein neues Bildchen von Ihnen (für mich!) machen zu lassen! Ich habe nämlich auch drei Filme hier und kann dank einer guten Beziehung immer neue haben. Ich würde Ihnen von Herzen gern einen Film senden. Bitte, übersehen Sie einmal, dass mein Eigennutz die Triebfeder dieser Gabe ist! Denn ich bin nun noch neugierig geworden. Also, schreiben Sie mir bitte, ob eine Kamera zur Verfügung steht. Vielleicht ist ein Kamerad oder einer Ihrer Männer so freundlich und macht ein paar schöne Aufnahmen von Ihnen. Der Film, dass heute das wichtigse ist, ist da. Die Kamera wird auch da sein, fehlt nur noch der Mann, der gut fotographieren kann und Sie "das Opfer"!! So, ich glaube, die längste Zeit haben wir nun friedlich, gegenüber anderen Städten gelebt. Denn als der Angriff auf Kassel stattfand, hat es bei uns auch ordentlich geraucht. Allerdings sind keine Bomben gefallen. Aber dafür hat die Flak einen mordsmäßigen Krach gemacht. Ein paar Blindgänger von der Flak haben die Sache noch toller gemacht. Bisher hat man von Kassel dasselbe gesagt, wie hier von Gkn. Kassel läge immer von einer Dunstschicht bedeckt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ausgeschlossen ist es nicht. Und wir liegen tiefen als die Städte ringsherum und sind auch in Dunst getaucht. Ich glaube bestimmt, dass nun meine Heimatstadt auf dem Zettel der Briten steht. Ich habe so das Gefühl. Doch so leicht kann mir persönlich nichts passieren. Wir sitzen bei der, zwei Häuser weiter sich befindenden, Polizeiwache im Keller und der ist schon auf Hinsicht des Krieges gebaut worden. 3 Stockwerke mit dicken Betondecken und gasdichte Türen schützen uns. Da müssten wir schon mal außerordentliches Pech haben! Doch ich denke immer, wenn es eben für mich bestimmt ist, so kann ich auch nichts dran machen! Seinem Schicksal entgeht kein Mensch! Nun komme ich langsam zum Schluss meines heutigen Briefes. Wie ruft man künftigen Bergsteigern zu? Glück ab? Hals- und Beinbruch? Ich will einmal das letztere wählen. Hals- und Beinbruch, also! Viele Grüße sendet Ihnen Ihre Irma ten Elsen |
Gelsenkirchen, den 17.9.1942 Mein lieber Grimm! Nach längerem vergeblichen Warten war die Freude über Ihren lb. Brief, den ich heute nachmittag dankend erhielt, umso größer! Es ist nun wieder die übliche Nachtstunde heran gerückt, wo ich dazu komme, Ihnen zu antworten! Gestern Nacht um diese Zeit, es ist 0:35 Uhr, saßen wir schon 1 1/2 Stunde im Luftschutzkeller! Da haben wir wieder ein bissel Herzklopfen bekommen. In unserer Stadt und den umliegenden Städten sind "nur" Brankdbomben geworfen worden. Glücklicherweise ist unser Stadtteil wieder mal verschont worden. Ich glaube doch bald, dass wir Engel sind, denen nichts zu Leide getan wird! Aber ich will es nicht zu früh sagen, sonst sind die Briten gleich da und strafen mich Lügen! Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn wir einmal aus dem Luftschutzkeller können (er befindet sich in einem Neubau, zwei Häuser weiter!) und unser Haus wär nicht mehr da! Das ganze Mobiliar, die Garderobe und sonstige Kleinigkeiten, alles wäre weg, nur das was man auf dem Körper trägt, ist alles, was man dann noch besitzt! Ich wage da gar nicht dran zu denken. Fürchterlich! Na, ich will nicht zu schwarz sehen! Vielleicht passiert mir nichts! Ich ärgere mich ja nur darüber, dass wir hier in der Heimat so wehrlos sind! Doch wie würde die Geschichte erst aussehen, wenn man uns ein Maschinengewehr in die Hand drücken würde, oder ein kleines 2cm Geschütz von der Flak!! Toll! Nun zu Ihrem Brief. Ja, ich glaube, dass Norwegen auch seine Reize hat. Schon allein der Anblick der Fjorde muss gigantisch sein! Na, mit der nächsten K.D.F.- Fahrt werde ich die Gebiete, wo sich deutsche Landser im Kriege aufgehalten haben, auch besuchen können! Wann wird das wohl sein? Wir hoffen ja das Beste und sprechen uns gegenseitig Mut zu! Oh, das ist ja herrlich! Ich beneide Sie ehrlich, das Glück gehabt zu haben, hoch in den Lüften zu schweben! Das muss ja ein überwältigndes Gefühl sein, von der Erde gelöst, so frei in der Luft zu schweben und sich die Welt wie ein Kinderspielzeug von oben aus den Wolken ansehen zu können!! Na, da können Sie sich ja glücklich schätzen, das Sie noch genug Spirituosen zur Verfügung haben. Trotz unseres Kontingentes bleibt für uns privat fast nichts mehr über! Mit Not habe ich ich mir für meine Geburtstagsfeier ein paar Flaschen Wein (die Anzahl werde ich ja noch bis dahin verdoppeln!) und 1 Ltr. Doppelkorn zurück gelegt! Fast sind die Urlauber wieder froh,, heim, ich meine zu den Kameraden, zu kommen! In der Heimat ist doch, wie man allgemein sagt, nichts mehr los! Allerdings fährt man ja auch in Urlaub, um seine Lieben wieder zu sehen! Mein Wiedersehen ist immer schön! Ich habe mich da in meinem ersten Brief ein wenig falsch ausgedrückt. Dass Sie gern Musik hören, ist ja selbstverständlich, sonst hätten Sie sich wohl schwerlich für Ihren Beruf entscheiden können! Das war dumm! Ich will einmal so fragen, welchem Gebiet Sie als Privatmann Ihre Aufmerksamkeit denn schenken?! Hören Sie in Ihren Mußestunden gern klassische oder moderne Musik? Beruflich, als Musikmeister einer Militärkapelle, liegt Ihr Augenmerk wohl auf dem Gebiet der Militärmusik, nicht wahr? Oder haben Ihre Männer auch eine andere Besetzung, z. B. für ein Kompnaniefest eine schöne "außermilitärische" Unterhaltungsmusik? Wissen Sie es interessiert mich ungemein und ich warte schon mit Spannung auf Ihren nächsten Brief, in dem Sie mal ein bissel aus der Schule plaudern wollen! In dem Punkt Musik scheinen sich unsere Ansichten zu gleichen. Auch ich wäre unglücklich, nicht Tag für Tag Musik um mich zu haben. Auch spiele ich etwas Klavier und da ich, wie mir schon sehr oft versichert wurde, eine gute Altstimme habe, singe ich sehr gern! (Ich singe nicht tief, weil es zufällig eine Zarah Leander gibt und es in der Mode ist tief zu singen, sondern weil ich nicht hoch singen kann, noch nicht mal einen Mezzo- Sopran bekome ich fertig. Wenn Sie mich sprechen hören, so werden Sie es auch glauben, dass es kein Unterschied ist!) Allerdings liegt mein Interesse mehr auf dem Gebiet der modernen Tonschöpfungen. Ich selbst wollte mich sogar mal in die Reihen der Komponisten mischen, aber nach meinem Erstlingswerk, einem gut gelungenen langsamen Waltzer, den ich leider verschenkt habe vor 3 Jahren mit der Versicherung ihn nicht an die Öffentlichkeit zu bringen, fehlt es mir nun an der Zeit, neues zu schaffen. Nun werden Sie bestimmt lachen! Und dazu haben Sie auch Grund, lachen Sie mich nur tüchtig aus! Es heißt ja: "Schuster bleib bei deinen Leisten!!" Um wieder auf die Musik zurück zu kommen. Ich höre auch hin und wieder, wenn ich allein bin und ganz "dabei sein" kann, gern Opernmelodien! Meine liebste Oper ist "Boheme"! Doch dagegen liegen mir Schubert, Weber, Beethoven u.a.m. gar nicht. Und warum soll ich mir die Werke anhören wenn ich kein Verständnis dafür aufbringe? In erster Linie bin ich jung und tanze gern! Augenblicklich muss ich mich bei schöner Tanzmusik ja schwer im Zaume halten, dass die Füße ruhig bleiben, doch später wird es nachgeholt! Aber, lieber Günter Grimm, ich bitte Sie, wie sollte ich es für selbstverständlich halten, Sie "unbeweibt" zu wissen? Ein gut aussehender Mann, so weit ich es auf dem Bildchen sehen kann, ist doch selten allein! Aber um beurteilen zu können, ob Sie schön sind, (was noch nicht einmal von großer Wichtigkeit ist!) muss ich erst ein anderes Bild von Ihnen sehen! Darf ich darum bitten? Nun ist es Zeit! Gute Nacht! Viele lb. Grüße sendet Ihnen Ihre Irma ten Elsen |