Irma ten Elsen - Feldpost aus Gelsenkirchen
Briefe aus dem Jahr 1943
Gelsenkirchen 26.3.1943 Lieber Günter! Nun bin ich in eine große Verlegenheit gekommen! Welchen Briefstil wähle ich nun? Zwei Briefe scheinen in Norwegen nicht oder noch nicht angekommen sein! Aber ich werde bestimmt bald Antwort darauf bekommen. Tja, ich muss nun wohl, da ich großen Herzen angefangen bin, fortfahren das schöne Wörtchen "Du" gebrauchen! Wenn es dir recht ist!? Aber du hast es ja so gewünscht! Mir will es scheinen, als hättest du dich ein bisschen zurück gezogen! Vielleicht weil ich zuerst nicht damit einverstanden war, zuerst das "Du" zu gebrauchen!? Ich befürchte, dass der Brief, der hier vor mir liegt, doch die Antwort auf den Brief ist, in dem ich dich bat, mit der vertrauten Anrede zu beginnen!? Wenn es so wäre, so hast du das Thema ja gar nicht berührt!! Aber warum soll ich mir den Kopf zerbrechen, Du bist sicher nicht so engherzig, mir die kleine Weigerung zu verübeln! Ich habe es ja auch wieder gut gemacht, nicht wahr? Da ich schon lange sehnlichst auf deine lieben Zeilen wartete, war die Freude doppelt groß, als ich den Brief bekam. Oh, verzeih, ich habe mich ja noch gar nicht dafür bedankt! Ich hole es hiermit verbindlichst nach! Wenn ich einmal etwas länger auf einen Brief von dir warten muss, so weiß ich, dass dich wichtige Gründe hindern, mir eher zu schreiben. Es ist ja verwunderlich, dass ich diesmal kein Foto bekommen habe, doch ich weiß, dass du mich einmal dafür entschädigen wirst!! Ehrlich gesagt, aber weiß auch nicht, was ich machen soll! Eine paar Bilder habe ich ja noch, aber wie dir ja auch bekannt sein wird, gibt es für Amateure keine Filme mehr gibt! Zum Glück habe ich mir kurz vorher noch zwei Filme kaufen können. Aber ob ich meine Filme dann entwickelt bekomme, weiß ich nicht. Doch wofür gibt es so vielerlei Beziehungen?!! Darf man einmal erfahren, wohin die Konzertreise ging? Konzertiertest du mit deinen Männern innerhalb Norwegens, oder führte euch die Fahrt auch in andere Länder? Man könnte dich ja fast beneiden! Lieber Günter, nun eine Neuigkeit, die dich vielleicht auch interessiert! Kaum hatte ich mich so richtig auf meine neue Tätigkeit bei der Post gefreut und alles war zu meinem Empfange bereit, da bekam ich in letzter Minute vom "lieben" Arbeitsamt den Bescheid, die Stelle käme für mich nicht in Frage, da ich nicht im Besitz eines Arbeitsbuches sei und daher noch keine Pflichtjahre abgeleistet hätte! Bums! Alles Zureden, auch von Seiten meines zukünftigen Chefs fruchtete nichts. Da wurde mir angeboten, ein Gesuch zwecks zurückstellung vom Pflichtjahr bis nach Kriegsende zu stellen. Aber dann kam die Meldepflicht dazwischen und ich hielt die Sache unter den neuen Bedingungen für niedergeschlagen. Ich als mittätige Familienangehörige musste mich auch melden. In der folgende Zeit sprach mein zukünftiger "Brotgeber" sein Bedauern darüber aus, leider nicht so lange warten zu können! Ersatz wurde überraschend schnell gefunden. Am 15.3. entschied es sich nun, dass unser Betrieb nicht geschlossen würde. Nun bin ich ja unabkömmlich, u. k. heißt es wohl!! So ist also unerwartet die Reisetante noch nicht eingemottet! Doch unter diesen veränderten Verhältnissen kann ich keine Sommerreise von mehrwöchentlicher Dauer mehr machen. Es macht mich gar nicht traurig, denn ich will keine Ausnahme im totalen Krieg sein. Aber ein Vergnügen gönne ich mir, jede Woche fahre ich mit meiner Freundin einmal in eine benachbarte Stadt, wo es noch Unterhaltung für junge Menschen gibt. Da freue ich mich dann die ganze Woche drauf! Sonst war unser Ziel immer Essen, wo es sehr gepflegte Lokale mit dezenter Musik gab! Doch nun blieb nichts davon über als Schutthaufen! Nun haben wir uns Dortmund ausgesucht. Tja, so Enttäuschungen erlebe ich, wenn ich mich auf etwas sehr freue!! Gemeint ist die entschwundene Lebensstellung an der Post! Wie heißt es noch in dem Lied von Otten - Ebeler? "... und nebenbei ein Pöstchen an der Post!!!" Ich hatte es auch schon siegessicher gesungen! Ich habe schon so oft die oben genannte Erfahrung machen müssen und immer wieder freue ich mich zu früh! Ja, die Vorfreude ist nun eben die schönste Freude! Es freut mich, dass dir meine Fotos gefallen. Schon lange wollte ich dir das Bild schicken, doch imemr hielt mich etwas davon zurück! Gerade wo du mich noch nicht persönlich kennst, konnten dir da leicht allerlei Vermutungen kommen. Doch freue mich, dass du die Überzeugung hast, es stünde mir gut. Dann brauche ich ja für meine Zukunft keine Angst zu haben!!! Wenn ich nun meine Zeilen schließe, mit vielen Grüßen für dich, so will ich nicht versäumen, dir ans Herz zu legen, mir recht bald Antwort auf den letzten Brief zu geben, ob du das "du" von mir annimmst! Du weißt ja das seelische Gleichgewicht!!! Alles Gute wünscht dir von Herzen deine Irma Kennst du das Bildchen schon?? D.I. |
(Dieser Brief hat sogar noch einen leichten Parfum-Duft von Irma ten Elsen im Papier) Gelsenkirchen, 17.6.1943 Lieber Günter! Meinen besten Dank für deinen lieben Brief. Ich habe mich sehr darüber gefreut, besonders aus dem Grunde, da ich annahm, du hättest mich (lächerlicherweise!) vergessen! Es war ja anzunehmen, dass du unseren Briefwechsel so langsam einschlafen lassen wolltest! Oder ist es jetzt noch dein Wunsch? Bitte, entschuldige, wenn ich dir solche unkameradschaftlichen Motive unterschiebe, doch ich habe so das unbestimmte Gefühl, dass deine Schreiblust merklich nachgelassen hat! Gewiss wirst du als Leiter einer großen Spielschar viel Arbeit haben und in der, sicher kärglich bemessenen, Freizeit lieber in der Natur dich aufhalten, als im Zimmer zu sitzen und Briefe zu schreiben! Aber immerhin, ich glaube, bei einigermaßen guten Willem hätte mich zwischendurch sicher ein paar kurze Zeilen erreichen können, nicht wahr? Und wenn es nur eine kurze Feldpostkarte ist! Günter, ich hätte dir so gern einmal geschrieben, um dich an mich zu erinnern, doch immer habe ich es unterlassen in der Befürchtung, ich könne dir lästig fallen! Nun, das möchte ich bei Gott nicht! Manchmal denke ich, es sei das kameradschaftliche "Du", was dich gleichgültig im Schreiben macht, doch das kann nicht sein, da es ja dein Wunsch war! Aber ehrlich gesagt, als wir noch per "Sie" waren, hast du mir öfter geschrieben! Lieber Günter, bitte verzeih, denn bisher sieht das alles so aus, als wolle ich dir eine Gardinenpredigt halten und da bin ich weit von entfernt. Es ist wahrscheinlich gekränkter Stolz der aus mir spricht, denn bisher habe ich nie so lange auf einen Brief eines lieben Menschen warten müssen. Bin sicher sehr verwöhnt worden in der Beziehung und nun, denke ich, es müsste so sein! Aber ich nehme an, dass ich in Zukunft keinen Grund mehr haben werde über acht Wochen auf einen Brief von dir warten zu müssen! Günter, willst du mir einen Gefallen erweisen? Ich denke du erfüllst ihn mir?! Wenn du jemals der "lästigen" Briefschreiberei über bist, so schreibe mir das ehrlich und versuche nicht ab und zu mal zu schreiben und dann nicht mehr! Mir macht unser Briefwechsel Freude und ich könnte mir nicht denken, dass meine Briefe ihren Sinn, Freude zu bringen, verfehlen würden. Es ist ja alles, Freud und Leid, nur noch eine ganz kleine Spanne Zeit zusammen gewängt, denn Morgen, vielleicht schon heute Nacht ereilt uns auch der Tod! Gelsenkirchen liegt noch unbeschädigt (von unbedeutenden kleineren Schäden abgesehen) mitten im Herzen der Ruinenstädte! Und das wir in unserer Schönheit das Ende erleben sollen, kann ich nicht recht glauben. Aus welchem Grunde sollte Gelsenk. verschont werden? Einmal kommen wir auch in den Flammen um. Wieviel Elend, Not und Tod liegt in den nüchternen Worten der Wehrmachtsberichte verbergen!! "Es entstehen größere Schäden......!" Aber auch wie viel Heldentum unserer Frauen und der Jugend tritt dann zu Tage. Jedenfalls, ich habe rings herum die zertrümmerten Wohnstädten gesehen und habe erlebt, wie verzweifelt aber vorbildlich eine gut situierte Familie vor dem Chaos stand! Nichts gerettet. Nun haben wir ja aus der Vergangenheit allerlei lernen können und wir wollen hoffen, dass es uns nicht allzu hart treffen wird! Es ist richtig, wenn man sagt, es ist schade, um jede Stunde, die ungenützt vorüber geht! Es natürlich schade, dass ich die Bilder noch nicht bekommen habe, doch ich weiß, du wirst sie mir noch senden. Auch ich habe bald wieder ein paar kleine Bildchen. Sobald sich das Wetter ändert, werde ich meine Kamera ordentlich strapazieren! Filme habe ich noch genug! Eben habe ich mir deine Zeilen nochmals genau durchgelesen und ich muss dich um Entschuldigung bitten für meine wenig freundlichen Worte im Anfang meines Briefes! "Ganz leise kommt die Nacht aus weiter Ferne...."! Das weißt du doch, nicht wahr? Das Lied ist schon etwas älter. Euch ist doch da auch Gelegenheit gegeben, Kenntnis von den neuesten Schöpfungen im Bereich der leichten Muse, nicht wahr? Willi Forst hob kürzlich ein kleines Lied aus der Truhe: "Unter einem Regenschirm am Abend hängt man sich zum ersten Male ein....." Ist dir das bekannt?! Doch wir wollen uns hier nicht gegenseitig ausfragen über diese, teils mit sehr blöden Texten versehenen, Schlager. Aber gestern habe ich während einer ernst sein wollenden Filmhandlung beinahe laut lachen müssen! Es war der bulgarische Film: "Herz in Gefahr!" Die männliche Hauptrolle stellte einen Klavierwirtuosen dar, der in seinem Heim komponiert. Dabei hob er die Arme mit gespreizten Fingern hoch und schlug auf das Klavier ein! Ein Kenner müsste unwillkürlich lachen. Keine Taste bewegte sich und der Klang war ein ganz anderer als die Bewegung der Hände, wenn man so sagen kann! Zu komisch! Nun muss ich leider schließen. Erinnere mich bitte im nächsten Brief daran, dass ich auf deine wahrscheinliche Urlaubsfahrt nach Bayern zu sprechen komme. Nun herzliche, innige Grüße sendet dir deine Irma |
Gelsenkirchen 5.8.1943 Lieber Günter! Überaus groß war meine Freude über deinen lieben Brief. Besonders, da ich noch gar nicht mit einer Antwort rechnete. Ich hoffe jedoch, dass die flotte Beantwortung nicht so quasi zwangsweise geschah!? Mein Dank fällt auch demeintsprechend aus! Es freut mich, dass dir das Foto gefallen hat. Es wurde in Dortmund an dem Tage gemacht, an dem in der folgenden Nacht die Stadt zum ersten Male bombardiert wurde. Ich erinnere mich, dass ich vor Abgang meines Zuges aus einem unerklärlichen Grunde nervös wurde! Ob es wohl so etwas wie eine Vorahnung gibt? In Kürze bin ich wieder in der Lage dir einige hübsche Bildchen zu senden, die am Strand oder besser im Strandbad gemacht worden sind. Es dauert nur immer so lange, bis die Filme entwickelt werden. Vier Wochen ist das Wenigste. Na, ich bin überhaupt froh, dass der Drogist das noch für mich macht, denn lt. neuester Vorschrift sollen Filme privater Natur gar nicht mehr in Arbeit genommen werden! Und ich bekomme bei ihm für jeden Film, den ich ihm gebe, einen neuen. Und so besteht mein Bestand immer aus vier Filmen. In meinen Ferien habe ich auch neue Aufnahmen gemacht. Ich glaube, ich schrieb dir schon, dass ich zu meiner großen Freude in diesem Jahre wenigstens für 8 Tage ausspannen durfte. Schöön war es. Ich wohnte bei kleinen Bauersleuten!!! Nur verging die Zeit zu schnell. Und daheim angekommen, sah ich, wie sich meine armen, lieben Eltern angestrengt hatten, nur um mir ein paar schöne Tage zu ermöglichen. Darf man eigentlich stolz sein, wenn man weiß, dass man unentbehrlich ist?! Jedenfalls heißt es jetzt wieder, tüchtig arbeiten. Im Augenblick hat das Geschäft einen derartigen Aufschwung genommen, dass ich nicht dazu komme, den ganzen Tag über auch nur 5 Minuten hintereinander zu sitzen. Es trägt viel das heiße Wetter dazu bei, nicht unbedeutend für diesen Umstand ist es auch, dass so viele Gaststätten in unserem Stadtteil, teils durch Schließung, teils durch Feindeinwirkung aus gefallen sind. Nun wenn so richtiger Betrieb ist, macht mir die Arbeit Freude. Günter, du bist wahrlich zu beneiden! Reiten, Sommerfahrten, schwimmen das gehört so zu deinem freien Tage. Bei mir reicht es nur zu dem zweiten und dritten. Mein heißester Wunsch war schon immer, die beiden Sportarten, reiten und Ski laufen zu erlernen und ich werde es auch noch mal können. Für die Zeit nach dem Kriege habe ich mir schon so allerhand vorgenommen. Hoffentlich lässt mich die Vorsehung das Kriegsende und die folgende schöne, bessere Zeit noch erleben. Ich will froh sein, wenn ich nur mein naktes Leben retten kann. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass die Vergeltung nicht mehr lange auf sich warten lässt. Günter, für heute will ich schließen, denn die Pflicht ruft. Ich hoffe ja, dass dein guter Wille, betreffs der prompten Beantwortung meiner Zeilen, anhält! Wenn es auch nur ein kurzes Kärtchen mit lieben Grüßen ist! Lieber Günter, empfange die allerherzlichsten Grüße von deiner Irma |
Gelsenkirchen den 14.8.43 Lieber Günter! Sei vielmals bedankt für Deine lieben Zeilen. Besonders freue ich mich über die hübschen Bildchen. Heute kann ich dir auch wieder ein Foto von mir beilegen. Hoffentlich gefällt es dir ebenso wie die anderen. Es beruhigt mich, dass du mir meinen Vorwurf nicht verübelst! Ich wage zu hoffen, dass ich es in Zukunft merke, dass du es dir zu Herzen genommen hast! Günter, glaube mir, auch mir fehlt sehr oft die Lust zu schreiben, denn das Geschäft nimmt mich jetzt so sehr in Anspruch, dass ich ganz wenig Freizeit habe. Aber wer gern und viel Post bekommt, muss auch dennoch schreiben. Und wenn ich mich dann wirklich einmal gehen lasse und nicht sofort scheibe, hat sich meine Post dermaßen angehäuft, dass ich mich fast nicht mehr durch den Wust hindurch finde und dann ist natürlich der Ärger groß! Wer bekommt es dann zu spüren? Meist der Empfänger! So mag es sicher nicht bei dir sein, aber in den meisten Fällen ist es so, nicht wahr? Aber wie kannst du behaupten, die liebe gute Feldpost hätte ein Schneckentempo? Bei vielen deiner Briefe ist es nicht so gewesen! Der letzte wurde aufgegeben am 4.d.M. und erreichte mich am 12.8. Das ist doch wirklich eine annehmbare Reise! Wo bleiben also deine Argumente? Doch Spaß beiseite, ich kann dir ja nicht böse sein, wenn du mir wenig schreibst. Ich bin schon froh, wenn du es überhaupt für nötig hälst, mir noch hin und wieder zu schreiben! Ich habe dich ja mit meinem Wunsche belästigt, mit mir Briefe zu wechseln! Aber ich weiß bestimmt, mein lieber Günter, wenn du nicht so persönlich kennen würdest, ich brauche nicht mehr so lange auf ein liebes Wort von dir zu warten! Ja, ich bin nicht etwas überheblich oder eingebildet, aber da du nun Bilder von mir gesehen hast, kannst du meine anderen Vorzüge ja auch gar nicht kennen. Aber es liegt an dir, früher oder später sie kennenzulernen! Schade, dass du nicht nach Bayern fährst, denn dann hätte ich schon eine Gelegenheit gefunden, dich zu sehen! Bestimmt wärest du mit dem Zuge über Köln oder Dortmung gekommen. Na, es sollte eben nicht sein! Vielleicht siehst du mich überhaupt nie mehr! Die Luftpiraten schrecken ja bekanntlich noch nicht einmal vor ehrwürdigen Bräuten zurück. Gelsenk. hat nun auch schon zweimal schwere Schäden mitbekommen doch ein direkter Angriff fand noch nicht statt. Es ist verwunderlich. Rings um uns alles kaputt! Es ist recht, denke bei diesen Hiobsbotschaften aus dem Westen stets an mich, vielleicht passiert mir dann nichts! Glaube mur, schrecklich wird die Vergeltung sein! Ich möchte selbst noch mit Vergeltung üben!! Aber, wenn es hier trifft ist es sehr hart! Die Betroffenen jubeln natürlich nicht, auch ist die Haltung der "ausgebombten" Bevölkerung vorbildlich! Aller Terror kann nur den Hass gegen unsere Feinde verstärken. Aber ehrlich gesagt, nervös wird man doch! Jede Nacht glauben wir Gelsenkirchener, es gilt uns! Neben uns ist letzthin eine große Sattler- u. Polstererwerkstatt abgebrannt und da unser großer Saal in Gefahr war, mussten alle Mann zum Löschen! Na, Günter denke viel an mich und wünsche mir Glück! Herzliche Grüße empfange von deiner Irma |
Gelsenkirchen 27.8.1943 Mein lieber Günter! Heute morgen erhielt ich deinen lieben Brief, vom 17.8. nebst Fotos und als anspornendes Beispiel will ich dir gleich schreiben. Es strengt mich ja ein wenig an, denn gerade habe ich einen Brief an den Freund meines Vetters, einen im Felde stehenden Zahnarzt, beendet. Der umfasste 9 engbeschriebene Seiten. Aber da ich gern von dir Post in Empfang nehme, muss ich ja auch fleißig schreiben. Da ich dich als Empfänger meiner Zeilen weiß, geht das Schreiben noch mal so gut. Also, das war bestimmt ehrlich gemeint, es liegt kein Grund für dein zweifelndes Gesicht vor!!! Nun erst meinen innigsten Dank für deinen Brief und die reizenden Bilder. Du gibst mir immer wieder von neuem Grund dich zu bewundern und auch zu beneiden. Herrlich muss es sein, so auf einem warmen Pferderücken durch schönes Land zu reiten! Wenn nicht die ab und zu beigelegten Fotos wären, könnte man bei deiner Schilderung von den Annehmlichkeiten da in Norwegen an Grimms Märchen denken!!!! Vielleicht kannst du schon früher und unverhofft in Urlaub fahren, denn Berlin ist ja in den vergangenen Nächten einmal schwer angegriffen worden! Bombengeschädigte Soldaten können sofort in Urlaub fahren. Ich will es ja nicht hoffen, dass du durch diesen traurigen Anlass früher fahren kannst. September haben wir ja schon bald. Ich bedauer es ja nur, dass du nicht, wie beabsichtigt nach Bayern fährst, denn dann bestünde die Möglichkeit, dass ich dich eben kurz am Zuge in Essen oder Dortmund sehen Könnte. Es ist doch immer anders, wenn man den Briefpartner persönlich kennt. Aber Berlin und Gelsenkirchen ist leider sehr weit enfernt.Doch der Friede ist nicht mehr weit entfernt und dann sieht Gott sei Dank alles wieder anders aus! Wenn ich zum Fenster heraus sehen, überkommt mich eine unbeschreibliche Wut! Es stürmt und regnet in einem fort. Dann verharrt uns für ein paar Augenblicke wieder die Sonne, doch bei ihrem, sonst so reizenden Anblick bekommt man kalte Finger. Da ich es mir nur einmal in der Woche leisten kann heraus zu gehen, komme ich erst einmal das Strandbad aufsuchen! Schöne Bilder habe ich da mit der Kamera gemacht. Ende dieses Monats werden sie fertig und dann schicke ich dir einige. Heute lege ich dir ein Foto bei, welches ich nicht selbst aufgenommen habe. Man sieht gleich, dass mit dem Belichtungsmesser gearbeitet wurde. Ich selbst muss feststellen, dass ich sehr gut getroffen bin. Das einzige, was den Kennerblick stört, sind die Beine, da ich sie dem Apparat zu sehr entgegengestreckt habe, wirken sie so lang. Ich habe ja in Natur schon lange schlanke Beine, doch so schlimm ist es nicht. Aber im übrigen bin ich mit meinem Körper und meinem Äußeren sehr zufrieden. Ich finde langbeinige Frauen aparter als andere. Oh, je, was schreibe ich denn da, man darf sich ja selbst nicht loben, sondern muss stündlich dem Schicksal danken, dass es mich hat grade wachsen lassen. Möge es mir in allen Dingen auch weiterhin holt sein. Und damit komme ich zum Ende meines heutigen Briefes. Vielleicht bekomme ich noch bevor du in Urlaub fährst, einen Brief aus Norwegen?! Sonst bestimmt eine kurzen Kartengruß aus Berlin, meine neue Liebe!! Es grüßt dich aus frohem Herzen deine Irma |
Gelsenkirchen 27.9.1943 Mein lieber Günter! Urlaub ist im Sprachschatz des Soldaten das schönste Wort, nicht wahr? Schönen Dank für deine lieben Zeilen. Es hat mich sehr gefreut, dass du auch im Urlaub an mich gedacht hast! Das ist für mich ein großes Plus!! Na, ja und das du mir schriebst, ist doch ganz verständlich! Der Urlaub, mag er an Tagen noch so reich sein, ist doch immer sehr knapp bemessen und dann hat man mit seinen persönlichen Angelegenheiten genug zu tun, dass es schon verzeilich ist, wenn man die kleine, fremde Briefpartnerin vergisst! Darum war meine Freude doppelt groß, aus deinem Urlaub Grüße zu bekommen! Aber Günter, jetzt übertreibst du aber! Es lautet gerade so, als ob ich dich bei jeder Kleinigkeit mit Vorwürfen überschütte! Ist denn das wahr?!! Weißt du, jetzt, wo ich richtig darüber nachdenke, nehme ich an, du hast dich zu dem Brief gezwungen! Es wäre sehr schade, wenn du mich in der Beziehung falsch eingeschätzt hättest! Aber ich will es nicht hoffen! So viel ich mich entsinne, habe ich dich ein- oder zweimal ganz leise gebeten, doch etwas mehr zu schreiben, oder so ähnlich! Also, Günter, versteh mich recht. Vorwürfe wage ich dir ja auch gar nicht zu machen, denn ich bin dir ja schon immer dankbar gewesen, dass du dich mit mir schreibst. Leider kann ich mich nicht restlos mit dir über deine schönen Urlaubstage freuen. Etwas traurig bin ich doch! Warum muss ich gerade in Gkn. wohnen und nicht in Berlin oder gar: "Mein Herz schlägt wie ein Blütenstock für Jüterborg!" Dann bestände wenigstens die Möglichkeit sich kennenzulernen! Oder hättest du nicht den gleichen Wunsch? Gleichzeitig hättest du auch mein Gast zu meinem 22. Geburtstage sein können! Gestern haben wir schon die Vorfeier gehalten und nächsten Sonntag steigt das Fest! Du kannst mir ja trotzdem eine kleine Freude bereiten und spielt mir an irgendwo, wo du da bist, ein Geburtstagsständchen! Ein etwas sonderbarer Wunsch, nicht wahr? Aber, ich möchte dich zu gern einmal spielen hören und sehen und da das "noch" nicht möglich ist, kann ich dann etwas mit dem Gedanken spielen, ich sei dabei, wenn du mir das Ständchen spielst! Tja, was wünsche ich mir denn da? Nur Klavier?! Kannst du das Liebesduett aus "Bohemé" spielen?! Es klingt ja gesungen besser. Versuche doch, dabei zu singen!!!!! Das würde die Freude noch vergrößern!!! Aber nun Schluss mit den Kinderreien, das wirst du bestimmt nicht machen, dür mich spielen, wo ich es nicht höre und nicht sehe! Bei uns herrscht gewissermaßen die große Ruhe vor dem Sturm! Einzelne Störflugzeuge verirren sich schon mal. Ohne Beudeutung! Lieber Günter, für den weiteren Verlauf deines Urlaubs wünsche ich dir recht, recht viel Vergnügen! Empfange meine freundschaftlichsten Grüße und vergesse nicht ganz deine Irma |